- Umweltschutz: Die Grenzen des Wachstums
- Umweltschutz: Die Grenzen des WachstumsJahrtausendelang hat die Erdbevölkerung wenn auch stetig, so doch nur langsam zugenommen, und ebenso maßvoll wuchs ihr Bedarf an Gütern, die die Erde hergibt, an Wasser und Nahrungsmitteln, an Rohstoffen und Energie. Doch dann, vor gut 100 Jahren, begann sich dieses Wachstum enorm zu beschleunigen. Die Bevölkerungszahl verdoppelte sich in weniger als einem Jahrhundert, stieg auf derzeit 5,9 Milliarden und dürfte sich innerhalb der nächsten 30 Jahre noch einmal verdoppeln. Parallel dazu stiegen auch die Wachstumsraten der Industrieproduktion, des Rohstoffbedarfs und der Umweltverschmutzung steil an. Angesichts der begrenzten, zum Teil schon kurz vor ihrer Erschöpfung stehenden Rohstoffquellen und der begrenzten, zum Teil schon überschrittenen Aufnahmekapazitäten der Natur für die vom Menschen produzierten Abfälle und Schadstoffe, muss dieses quantitative Wachstum einmal aufhören, soll eine globale Stabilisierung eintreten. Daran besteht im Grunde kein Zweifel. Offen aber ist, wann und wie sich dieses Gleichgewicht einstellt. Wird es der Endzustand einer von Hunger und Krankheit dezimierten und auf einen niedrigen Lebensstandard gezwungenen Menschheit sein? Oder werden rechtzeitig die Weichen zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Gesellschaft gestellt?Es waren solche Fagen, die 1968 zur Gründung des Club of Rome führten, der alsbald eine Forschergruppe am Massachusetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge beauftragte, mithilfe des dort entwickelten Verfahrens der »System Dynamics« der Beantwortung dieser Schicksalsfragen näher zu kommen.Das Ergebnis dieser Studien auf Basis eines umfangreichen Computerprogramms, das Donella Meadows zusammen mit ihrem Mann Dennis und zwei weiteren Mitarbeitern als allgemein verständliches Taschenbuch 1972 unter dem Titel »Die Grenzen des Wachstums« veröffentlichte, wurde zu einem Weltbestseller, der leidenschaftliche Diskussionen zwischen Wissenschaftlern, Wirtschaftlern und Politikern auslöste - und dabei vielfach missverstanden wurde. Das Buch enthielt keine eigentliche Prognose und beschrieb auch keine vorherbestimmte Zukunft, sondern präsentierte verschiedene Zukunftsszenarien, im Sinne unterschiedlicher Optionen für die Menschheit. Es schloss mit drei summarischen Folgerungen:- Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten 100 Jahre erreicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit führt dies zu einem ziemlich raschen und nicht aufhaltbaren Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität.- Es erscheint möglich, diese Wachstumstrends zu ändern und einen ökologischen und ökonomischen Gleichgewichtszustand herbeizuführen, der auch lange in der Zukunft aufrechterhalten werden kann. So könnte erreicht werden, dass die materiellen Lebensgrundlagen für jeden Menschen auf der Erde sichergestellt sind und Spielraum bleibt, individuelle menschliche Fähigkeiten zu nutzen und persönliche Ziele zu erreichen.- Je eher die Menschheit sich entschließt, diesen Gleichgewichtszustand herzustellen, und je rascher sie damit beginnt, desto größer sind die Chancen, dass sie ihn auch erreicht.Impuls für den UmweltschutzAuf die eine oder andere Weise haben sich seitdem Kritiker wie Anhänger der Studie mit diesen Herausforderungen befasst. Sie erforschten und verbesserten die Nutzung der Energie, entwickelten neue Materialien, Methoden zur Schadstoffvermeidung in Fabriken und zum Abfallrecycling in den Städten und schufen ökologisch verträgliche Anbauformen in der Landwirtschaft; sie suchten Möglichkeiten eines gewaltfreien Konfliktmanagements und basisdemokratische Formen kommunaler Entwicklung und setzten internationale Vereinbarungen zum Schutz der Ozonschicht, des Klimas und der Meere durch. Viel ist in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten geschehen, um neue Technologien, Ideen und Institutionen zu entwickeln, die eine dauerhaft-umweltverträgliche Entwicklung sichern können. Aber gleichzeitig wurde in alter Weise fortgefahren: Viele Millionen leben weiterhin in Armut, natürliche Ressourcen werden weiter vergeudet, noch mehr Schadstoffe werden in der Umwelt angehäuft, und weiterhin wird die Natur zerstört. So wurde die Kapazität der Erde, die Lebensformen zu erhalten, noch weiter geschmälert.Donella Meadows und Mitarbeiter haben 1992 ihr Buch auf aktueller Datenbasis neu herausgegeben, und sie nannten es: »Beyond the Limits« (»Die neuen Grenzen des Wachstums«). Die Computersimulationen zeigten nämlich, dass die Nutzung zahlreicher Ressourcen und die Ansammlung von Schadstoffen in manchen Bereichen der natürlichen Umwelt die Grenzen des langfristig Verträglichen bereits überschritten haben, trotz verbesserter Technologien, gewachsenen ökologischen Bewusstseins und strengerer Umweltgesetze. Die Schlussfolgerungen aus den alten »Grenzen des Wachstums« sind noch immer gültig, sie müssen, so die Autoren, nur entschiedener formuliert werden:- Die Nutzung vieler natürlicher Ressourcen wie des Süßwassers oder der Fischbestände und die Emission schlecht abbaubarer Stoffe, darunter FCKW und CO2, haben bereits die Grenzen des physikalisch auf längere Zeit Möglichen überschritten. Wenn der Einsatz dieser Stoffe und die Energieflüsse nicht entscheidend gesenkt werden, kommt es in den nächsten Jahrzehnten zu einem nicht mehr kontrollierbaren Rückgang der Nahrungsmittelerzeugung, der Energieverfügbarkeit und auch der Industrieproduktion.- Das ist aber vermeidbar, wenn zwei grundsätzliche Änderungen erfolgen: Die politischen Praktiken und Handlungsweisen, die den Anstieg des Verbrauchs und der Bevölkerungszahlen begünstigen, müssen durchgreifend reformiert werden; daneben sind die Wirkungsgrade des Energieeinsatzes und der Nutzeffekt materieller Ressourcen, das heißt die Ressourcenproduktivität, drastisch anzuheben.- Eine nachhaltige, zukunftsfähige Gesellschaft (sustainable society) ist technisch und wirtschaftlich noch immer möglich; sie könnte lebenswertere Perspektiven haben als eine Gesellschaft, die ihre Probleme durch permanente Expansion zu lösen versucht. Der Übergang zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft erfordert den sorgfältigen Ausgleich zwischen langfristigen und kurzfristigen Zielvorstellungen; mehr Nachdruck muss auf ausreichende Versorgung, gerechte Verteilung und Lebensqualität und weniger auf Produktionsausstoß gelegt werden. Dazu ist mehr erforderlich als nur Produktivität und Technologie, gefragt sind individuelle Reife, partnerschaftliches Teilen und kollektive Weisheit.Eine Vision: Die »zukunftsfähige Entwicklung«Aus der weltweiten Diskussion um die Grenzen des Wachstums und die partiellen Grenzüberschreitungen ist eine zwar uneinheitliche, teils widersprüchliche und konfliktreiche, aber doch kraftvolle Vision der »zukunftsfähigen Entwicklung« (sustainable development) entstanden. Die Vorstellungen von Begrenzungen, Nachhaltigkeit, ausreichender Versorgung, gerechter Verteilung und höherer Ressourcenproduktivität wirken nicht mehr länger als Hindernisse oder Bedrohung, sondern als Leitlinien in eine neue Welt.In der Praxis hat sich dies zunächst und vor allem in der Institutionalisierung von Umweltpolitik niedergeschlagen - auf der lokalen, nationalen und globalen Ebene. Der Schutz der Ozonschicht, des Klimas, der Meere, des Süßwassers, der Böden und der Biodiversität ist zwar im Detail weiter umstritten, wird aber nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt. »Die Grenzen des Wachstums« haben dazu, wenn nicht den ersten, so doch den entscheidenden Impuls gegeben. Umwelt- und Entwicklungspolitik zu integrieren aber bleibt die Aufgabe der Zukunft.Prof. Dr. Udo Ernst Simonis
Universal-Lexikon. 2012.